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2001 Psychische Gesundheit :
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Gesundheit beginnt im Kopf
Gesundheit beginnt im Kopf
Dr. med. Elisabeth Pott,
Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln
Der Weltgesundheitstag steht in diesem Jahr unter dem Motto "Psychische Gesundheit erhalten und wiederherstellen". Wie in jedem Jahr soll mit dem Motto die Aufmerksamkeit auf einen besonders wichtigen Aspekt der öffentlichen Gesundheit, in diesem Fall die psychische Gesundheit, gelenkt werden. Gerade im Zusammenhang mit dem Thema "psychische Gesundheit" geht es nicht nur um die Frage von Prävention, Therapie und Rehabilitation, sondern vor allem auch um die Enttabuisierung dieses Themas und um die gesellschaftliche Integration von Betroffenen.
Der Gedanke, dass psychische Gesundheit ein wesentlicher Aspekt von Gesundheit ist, wird schon in der Definition des Gesundheitsbegriffs der WHO von 1946 deutlich: "Gesundheit ist ein Zustand völligen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechlichkeit". Auch wenn diese Definition von vielen kritisiert worden ist oder als zu weitgehend empfunden wurde, gibt es doch eine breite fachliche und wissenschaftliche Übereinstimmung darüber, dass Gesundheit sowohl biologische als auch psycho-soziale Aspekte umfasst. Häufig machen wir uns nicht klar, dass es zwischen diesen Bereichen vielfältige Wechselwirkungen gibt, die Gesundheit fördern oder beeinträchtigen.
Gerade für die Entwicklung von Kindern gilt, dass eine Förderung, die altersgerechte Entwicklungsanforderungen berücksichtigt, und stabile Bindungen im frühen Alter wichtige Schutzfaktoren für ein körperlich und psychisch gesundes Aufwachsen sind. Deshalb muss Gesundheitsförderung umfassend angelegt sein und weit mehr sein als nur Wissensvermittlung. Gesundheitsförderung muss emotional ansprechend sein und die vielfältigen Beziehungsaspekte, Lebensstile, Lebenssituationen, Werthaltungen und ethischen Aspekte berücksichtigen, und das von Anfang an. Bereits im Kindesalter werden wichtige Weichen auch für die Gesundheit im Erwachsenenalter gestellt. Deshalb ist im Kindesalter ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit besonders wichtig.
Die Förderung von Einstellungen und Verhaltensweisen und vor allem von Kompetenzen bereits im Kindesalter eröffnet die Chance, vielen Krankheiten langfristig vorzubeugen. Wenn wir dieses als Aufgabe sehen, dann stellt sich zunächst die Frage, wie es denn um die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen heute in Deutschland bestellt ist, welche Erkenntnisse es zur Gesundheit in dieser Zielgruppe gibt und welche Handlungskonzepte vorliegen, um Gesundheit ganzheitlich zu fördern und welche Partner vorhanden und bereit sind, dieses als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gemeinsam umzusetzen.
Wenn ich in meinem Referat die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt stelle, dann möchte ich in Bezug auf das Motto des diesjährigen Weltgesundheitstages "psychische Gesundheit erhalten und wiederherstellen" dazu noch eine Bemerkung machen. Das Gesamtkonzept einer Gesundheitsstrategie umfasst immer die Förderung der Gesundheit, gezielte Intervention bei schon vorhandenen Risiken und spezifisch-therapeutische Maßnahmen für Menschen, die bereits erkrankt sind. Aufgrund der Erkenntnisse der Jugendforschung und Psychiatrie müssen wir heute davon ausgehen, dass es eine Gruppe von Kindern gibt, geschätzt werden 5 bis 10 Prozent, die als hochbelastet für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen, z.B. Suchterkrankungen, anzusehen ist. Diese Gruppe ist gekennzeichnet z.B. durch Entwicklungsstörungen, Gewalterfahrungen, Missbrauch oder massive Vernachlässigung. Konzepte der Früherkennung und einer gezielten Behandlung der vorhandenen Probleme sind bisher nicht ausreichend erforscht. Für diese Gruppe ist die Entwicklung von spezifischen Interventionsansätzen ganz besonders dringlich.
Wenn wir dieses Spektrum anschauen, so werde ich mich in meinem Beitrag auf den Schwerpunkt einer umfassenden Förderung der Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen konzentrieren. Zunächst einige Daten und Fakten zur Ausgangssituation:
Daten zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland
1. Essstörungen
Über- und auch Untergewicht sind bei Kindern ein weit verbreitetes Problem. Die Zahlen des Ernährungsberichtes 2000 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zeigen:
- 8 % aller Jungen und Mädchen zwischen 6 und 17 Jahren sind untergewichtig, 11 % sind übergewichtig (d.h. sie liegen zwischen 15 und 25 % über dem Referenzgewicht) und 9 % der Jungen bzw. 7 % der Mädchen weisen bereits eine Adipositas auf (d.h. sie liegen mehr als 25 % über ihrem Referenzgewicht)
- Damit hat fast jedes dritte Kind ein außerhalb der Norm liegendes Gewicht, das möglicherweise Ursache oder Beginn einer Essstörung sein kann.
- Unter den 11- bis 15-Jährigen haben 11 % der Jungen und 17 % der Mädchen bereits Diäterfahrungen.
- Dazu passt, dass Mädchen häufig und häufiger als gleichaltrige Jungen ein negatives Körperselbstbild haben. 63 % der 13- bis 14-Jährigen würden gern besser aussehen und 56 % wären gerne dünner. (Milhoffer-Studie, 1999)
- Aber auch 8 % der Mädchen mit objektiv zu geringem Gewicht halten sich selber für zu dick und machen eine Diät. (Settertobulte, 1999)
2. Bewegung
- Die Zahl der motorischen Defizite hat stark zugenommen: Wenn 1986 noch 16 % der 11- bis 14-Jährigen als sportförderungsbedürftig eingestuft wurden, waren dies 1995 bereits 47 %.
- Bei 7 bis 9 % der Jugendlichen wurden 1996 Bewegungsmangel als eine Fehlentwicklung des Skelettsystems, des Bewegungsapparates und der Wirbelsäule festgestellt. (Repräsentativerhebung des Zentralinstituts der Kassenärztlichen Vereinigungen ZI 1996)
3. Stress
- Studien berichten von Stress durch Überforderung, Lärm, Ausgrenzung und andere soziale Faktoren, z.B. im schulischen Kontext.
- Untersuchung an Schleswig-Holsteinischen Schulen (mit insgesamt 14.788 Schülern, bezogen auf Grundschulen und weiterführende Schulen) zeigen: 9,2 % der Befragten wurden ein bis mehrmals pro Woche, 21 % gelegentlich Opfer von psychischen und physischen Aggressionen.
- Die Folgen von Stresserlebnissen sind bedeutsam:
Kopfschmerzen (19 % Mädchen, 9 % Jungen)
Magenbeschwerden (7 % Mädchen, 2 % Jungen)
Nervosität und Unruhe (11 % Mädchen, 6 % Jungen)
Schlafstörungen (8 % Mädchen, 3 % Jungen
- Auffällig ist dabei, dass Mädchen doppelt so häufig wie Jungen unter diesen Störungen leiden. (Hoepner-Stamos, 1996)
- Eine erhebliche Medikamentalisierung bereits im Kindesalter ist die Folge: Jeweils etwa 10 % der Kinder bekommen 1 bis 3 Arzneimittel pro Jahr. 4 Arzneimittel bekommen 8 % und 5 - 10 Arzneimittel bekommen 7 bzw. 3 %. Fast 1 % aller Kinder bekamen 16 Arzneimittel. (Glaeske,2000)
Ursachen für gesundheitliche Störungen
1. Ursachen Ernährungsstörungen
- In unserer Gesellschaft besteht ein unphysiologisches Schönheitsideal. Bevorzugt wird ein sehr dünner, schlanker Körper, die übliche Modellkleidergröße beträgt 34 - 36, die Durchschnittskleidergröße liegt aber bei 40 - 42. Zusätzlich wird dieses Schönheitsideal, insbesondere durch die Werbung, mit den Attributen erfolgreich, begehrt, sexuell attraktiv, glücklich und gut gelaunt verbunden. Diese Werbung spricht gerade junge Mädchen an.
- Die Essgewohnheiten in unserer Gesellschaft haben sich verändert. Die Essensversorgung verlagert sich vermehrt aus der Familie heraus nach außen. Die Zubereitungszeiten für Speisen sind stark rückläufig. Dies führt dazu, dass z.B. vermehrt Fertiggerichte zubereitet werden. In der Regel sind solche Zubereitungsformen energiereicher, fettreicher, sie enthalten mehr Zusatzstoffe und sind weniger frisch.
- Das Angebot an solchen Fertig- oder Teilfertigprodukten steigt.
- Insgesamt kommen immer mehr verarbeitete Lebensmittel auf dem Markt. Der Partysnack- und Zwischenmahlzeitbereich boomt.
- Die Werbung gibt diesen Produkten das nötige gesundheitsbewusste Image, das sie aufgrund ihrer Zusammensetzung in der Regel nicht haben (siehe Zuckergehalte der Pausensnacks und Riegel, BZgA)
- Bedingt durch den Bewegungsrückgang in unserer Gesellschaft verbrauchen wir heute weniger Energie als früher, unsere Energieaufnahme hat sich aber nicht in gleicher Weise verringert.
2. Ursachen Bewegungsmangel
- Alltagsbewegungen gehen in unserer Gesellschaft, trotz gestiegener Mobilität, zurück.
- Die Freizeitorganisation erfordert einen hohen Aufwand, da besonders bewegungsorientierte Freizeitangebote selten vor der Haustür stattfinden.
- Fernsehen, Spiele, Computer und andere multimediale Angebote haben eine hohe Attraktivität und konkurrieren mit jeder bewegungsorientierten Freizeitgestaltung.
3. Ursachen Stressbelastung
- Hohe Leistungsanforderung sowie unzureichende Unterstützung aufgrund z.T. fehlender sozialer Strukturen unterstützen die Stressbelastung schon in jungen Jahren.
- Die Informationsdichte hat gerade durch die neuen Medien stark zugenommen, so dass sich Kinder heute vermehrt auf neue Situationen und neue Informationen einstellen müssen.
- Der Alltag ist durchorganisierter, Freiräume und Leerräume sind weniger geworden.
- Der Druck, einem bestimmten Standard zu entsprechen (man ist in oder out), hat zugenommen.
Die Zielsetzung der Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter
Grundlage ist ein ganzheitlicher gesundheitlicher Anspruch, d.h. Körper, Geist und Seele stellen eine Einheit dar. Deshalb muss das Konzept der Gesundheitsförderung mit einem integrierten Ansatz die jeweiligen Maßnahmen aus den verschiedenen Bereichen in der Umsetzungsstrategie zusammenführen. Deshalb setzen wir z.B. die Maßnahmenbündel zur Förderung einer gesunden Ernährung, Bewegung und zur Stressbewältigung als ein integriertes Konzept durch.
- Ernährung und Bewegung beeinflussen sich gegenseitig. Die Ernährung liefert Nährstoffe und Energie für den Alltag, für Freizeit und Sport.
- Die Bewegung wiederum hat Einfluss auf das Ernährungsverhalten. Bei Bewegung steigt der Energieverbrauch. Bewegung beeinflusst positiv den Hungersättigungsmechanismus und erhöht bei regelmassiger Betätigung den Grundumsatz.
- Die Bewegung unterstützt den Stressabbau, sie verändert den Stoffwechsel und schafft dadurch den Abbau von Stresshormonen und Metaboliten.
- Bewegung erhöht die Stresstoleranz und reduziert die Stressanfälligkeit.
- Aber Bewegung in Zusammenhang mit Leistungsdruck kann auch Stress erzeugen.
- Stress kann die Reduktion des Grundumsatzes begünstigen (bei ca. 30 % der Erwachsenenbevölkerung) und erhöht damit die Anfälligkeit für Übergewicht.
- Stress kann aber auch Hungergefühle vermehren (Frustessen, Stressessen), eine Reduktionskost erzeugt möglicherweise Stressverhalten, insbesondere während der Diätphasen, eine schlechte Nährstoffversorgung begünstigt die Stressanfälligkeit.
- Bewegung ist auch ein wichtiger Motor für die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls.
- Stressabbau erfolgt nicht nur durch Bewegung, je nach Stressursache gibt es eine Fülle von Strategien, z.B. Entspannungstechniken, Konfliktlösungsstrategien sowie musische Angebote.
Da das Bewegungsverhalten sowohl das Ernährungsverhalten als auch die Stressbewältigung positiv beeinflusst, spielt Bewegung eine wichtige Rolle bei der Gesundheitsförderung von Kindern. Insbesondere für Kinder gilt, dass sie einen natürlichen Bewegungsdrang und Freude an der Bewegung haben. Sie erforschen ihre Umwelt und sie entwickeln ihr Gleichgewicht, indem sie sich selbst und ihren Körper spüren. Intelligenz und kognitive Fähigkeiten werden entscheidend durch die Bewegung und Bewegungsmöglichkeiten gefördert. Anfänglich steht bei jedem kindlichen Lernen das Handeln, die Aktion im Vordergrund. Physische Lernerfahrungen sind Voraussetzung für Reflektions- und Abstraktionsprozesse. Erst im Laufe der weiteren Entwicklung rücken kognitive Prozesse vermehrt in den Vordergrund. Nicht nur für Kinder, auch für Erwachsene gilt: Sie müssen ausprobieren und ihren Körper spüren, um das harmonische Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele aufrecht zu erhalten.
Die Bedeutung des Selbstwertgefühls für die Gesundheit
Ein positives Selbstwertgefühl ist Voraussetzung für gesundheitsbewusstes Handeln.
- Bewegung beeinflusst das Selbstwertgefühl positiv, indem es Selbstvertrauen, ein positives Körpergefühl, Freude durch Bewegung schafft und "Flow"-Effekte unterstützt. Versagen bei Leistungsorientierung beeinträchtigt allerdings das Selbstwertgefühl.
- In der Ernährung schafft ein schmackhaftes Essen und ein gutes Ambiente Ausgeglichenheit und ein gutes Gefühl. Auch eine gute Nährstoffversorgung ist eine gute Grundlage für eine ausgeglichene Psyche. Aber Abnehmwillige oder Übergewichtige haben die Ambivalenz, dass Essen ihre Gewichtsreduktion gefährden kann.
- Bewältigung von Stress und Abbau von Stresssymptomen erhöhen das Selbstwertgefühl und schaffen Zufriedenheit. Unbewältigter Stress und Misserfolgserlebnisse nähren Ängste und Versagensgefühle.
Bei allen präventiven Maßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Gesundheitsförderung für Kinder steht das Erlebnis im Mittelpunkt. Die heute hier gezeigten Beispiele der "Kinderliedertour Apfelklops & Co" verdeutlichen: Mitmachen, etwas erleben und Freude daran haben sind ein zentraler Handlungseinstieg. Eigene Aktionen sowie Ausprobieren sind der Beginn jeder Maßnahme für Kinder. Aber auch die kognitive Aufarbeitung des Erlebten gehört dazu.