Abstract
Im Vergleich zu den meisten EU Ländern und anderen Industrienationen wie Kanada, den USA oder Australien nimmt Deutschland in der Prävention und Kontrolle des Tabakrauchens einen der hintersten Plätze ein. Im vergangenen Jahrzehnt belegen die Verbrauchsstatistiken einen Anstieg des Zigarettenkonsums (zwischen 1993 und 2001) um rund 11%. Insbesondere bei den Frauen in den neuen Bundesländern ist der Zuwachs besonders ausgeprägt. Hier stiegen die Raucherraten bei allen untersuchten Altersgruppen zwischen den Jahren 1991/92 und 1998 um mehr als 40% an. Auch bei den jüngeren Altersgruppen ist teilweise ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen. Deutschlands Kinder und Jugendliche nehmen im europäischen Vergleich einen traurigen Spitzenplatz ein. Aber auch die Passivrauchbelastung von Nichtrauchern ist bedeutsam: 55% aller Nichtraucher sind unfreiwillig Tabakrauch ausgesetzt, darunter 21% am Arbeitsplatz. Da über 20% aller Schwangeren weiterrauchen, werden jährlich über 150 000 Säuglinge bereits in ihrer Fötalperiode Rauchschadstoffen ausgesetzt. Bei Kindern ist Passivrauch im Elternhaus die bedeutsamste Schadstoffbelastung in ihrer Kindheit - dies betrifft 50% aller Kinder in allen Altersklassen.
Jede Gesundheitspolitik wird sich daran messen lassen müssen, wie sie dem Tabakproblem als größtem einzelnen vermeidbaren Gesundheitsproblem begegnet. Im vergangenen Jahrzehnt ist die Gesundheitspolitik jeder Regierung kläglich an dieser Frage gescheitert. Gegenwärtig zeichnen sich jedoch bedeutsame Änderungen ab, die substantiell dazu beitragen könnten, den Tabakkonsum auch in Deutschland deutlich zu verringern:
"Tabakkonsum senken" wurde als eines der fünf Gesundheitsziele für Deutschland festgelegt, ein Tabakkontrollprogramm ist in Vorbereitung und das internationale Rahmenabkommen für Tabakkontrolle wurde unterzeichnet.
Die Änderung der Arbeitsstättenverordnung stellt die gesetzliche Voraussetzung für den Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz dar. Auch wenn die Arbeits-stättenverordnung eine Einschränkung vorsieht und beispielsweise nicht für die Gastronomie ihre Gültigkeit hat, ist sie ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Auch die finanzielle Unterstützung einer Koordinierungsstelle für die Umsetzung der Arbeitsstättenverordnung bei der Bundesvereinigung für Gesundheit in Bonn zielt auf die Ernsthaftigkeit des Bemühens hin. Maßnahmen wie die Schaffung eines rauchfreien Bundesgesundheitsministeriums haben gleichfalls Signalcharakter.
Die wichtigste politische Entscheidung der letzten Jahre jedoch betrifft die deutliche Erhöhung von Tabaksteuern. Diese mutige Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums wurde in den vergangenen Monaten durch Lobbyisten der Tabakkonzerne immer wieder angegriffen und zu verhindern versucht. Mit einem wissenschaftlich fragwürdigen sogenannten Gutachten konnten die Konzerne viele Abgeordnete, insbesondere der Oppositionsparteien gewinnen, welche eine parlamentarische Offensive zu Gunsten der Tabakkonzerne starteten. Das Tauziehen um die Tabaksteuererhöhungen ist ein makabres Beispiel für den hocheffizienten Lobbyismus der Tabakindustrie zu Lasten der Gesundheit der deutschen Bevölkerung. Der Ausgang dieser politischen Schlacht ist gegenwärtig noch offen.
Weitere Maßnahmen wie ein Abgabeverbot von Tabakwaren an Jugendliche unter 16 Jahren oder eine Einschränkung der Kinowerbung nach 18.00 Uhr sind von geringer Wirksamkeit angesichts freizugänglicher Zigarettenautomaten, keiner Kontrollen und keiner Sanktionen bei Verstößen und angesichts großflächiger Werbung auf Plakaten.
Tabakkontrollpolitik: Dringend notwendige Maßnahmen
Viel ist noch politisch zu leisten, um der deutschen Bevölkerung den gleichen Standard an Gesundheitsvorsorge zu bieten wie die Staaten anderer EU-Mitgliedsländer dies möglich machen.
Das Aktionsbündnis Nichtrauchen (ABNR), dem das Deutsche Krebsforschungszentrum als Mitglied angehört, hat acht Handlungsfelder für eine wirksame Tabakkontrollpolitik der nächsten Jahre vorgeschlagen. Hierzu gehören ein längst überfälliges umfassendes Tabakwerbeverbot sowie die Ausweitung des Nichtraucherschutzes auf alle geschlossenen, der Öffentlichkeit zugänglichen Räume, zum Beispiel solcher des Gesundheits- und Erziehungswesens oder kultureller Einrichtungen sowie auf alle Verkehrsmittel. Auch muss der Nichtraucherschutz die Gastronomie umfassen, deren Mitarbeiter durch Tabakrauch besonders schadstoffbelastet arbeiten.
Ein weiteres Desiderat für die Tabakkontrollpolitik stellt der Handel mit Zigaretten dar. Kein anderes Konsumgut mit vergleichbarem Sucht- und Gefährdungspotential ist derart leicht zu erwerben. Eine konsequente Maßnahme wäre also ein Verbot der Zigarettenautomaten und eine Lizensierung aller Tabakwaren in hierfür vorgesehenen Verkaufsstellen, wie es in vielen anderen Industrieländern bereits praktiziert wird. Einem drohenden Verbot der Zigarettenautomaten kamen die Automatenhersteller mit dem Angebot eines Chipkarten Systems zuvor, welches keine wesentliche Barriere für den Kauf von Zigaretten durch Kinder und Jugendlichen darstellt, da dieses System nicht missbrauchsicher ist. Auch der Einsatz sogenannter Kombiautomaten, bei denen unterhalb von Zigarettenautomaten in Griffhöhe kleiner Kinder ein Süssigkeitenautomat angebracht ist, bleibt bestehen. Auf diese Weise werden Kinder an den Konsum von Zigaretten herangeführt. Auch wirkt das Chipkarten System nach Untersuchungen der Zigarettenindustrie sogar verkaufsfördernd.
In Erwartung eines Konsumrückgangs nach der Tabaksteuererhöhung 2004 brachten die deutschen Tabakkonzerne bereits im Jahr 2003 Kinderpackungen auf den Markt. Diese Packungsgrößen mit 10 Zigaretten und mit einem niedrigen Packungspreis fördern und stabilisieren die Kaufbereitschaft von Kindern, Jugendlichen und ärmeren Bevölkerungsschichten. Es ist daher dringend erforderlich, zeitgleich mit dem Gesetz zur Tabaksteuererhöhung ein Gesetz zum Verbot von Zigarettenpackungen mit unter 19 Zigaretten zu verabschieden, wie das etwa in Frankreich in diesem Jahr bereits vollzogen wurde.
Gleichfalls flankierend zur Tabaksteuererhöhung ist die wirkungsvolle Bekämpfung des Zigarettenschmuggels unabdingbar. Um eine angemessene Finanzierung der Zollfahndung, des Bundesgrenzschutzes und der strikten Bekämpfung der organisierten Kriminalität gewährleisten zu können, sollte ein Teil der Tabaksteuermehreinnahmen zweckgebunden hierfür aufgewendet werden.
Im Jahre 2002 wurde die Tabakverordnung verabschiedet, welche mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt: Zwar müssen die Tabakkonzerne inzwischen die Inhaltsstoffe ihrer Produkte angeben, sind jedoch nicht verpflichtet, die Wirkungen und Nebenwirkungen der Zusatzstoffe offen zu legen oder in Form einer Packungsbeilage zur Information für den Verbraucher in die Zigarettenpackungen zu legen. Auch ist der Aufdruck einer Telefonnummer auf allen tabakhaltigen Produkten, unter der sich Raucher und Raucherinnen über Angebote zur Tabakentwöhnung informieren können, nicht verpflichtend gemacht worden. Ein Verbot von suchtverstärkenden und die Gesundheit weiter gefährdenden Zusatzstoffen ist gleichfalls nicht vorgesehen.
Obwohl die Tabakabhängigkeit nach dem internationalen Klassifikationssystem als Krankheit anerkannt ist, wird den Tabakabhängigen in Deutschland keine Erstattung der Kosten für die Inanspruchnahme von evidenzbasierten Entwöhnungsmaßnahmen gegeben im Gegensatz zu der Bezahlung von Alkoholentwöhnung oder Drogenentwöhnung. Dies stellt ein deutliches Defizit in der Drogenpolitik dar und sollte baldmöglichst korrigiert werden.
Auch fehlt in Deutschland eine solide Grundfinanzierung der soliden Tabakprävention und Tabakkontrolle, was in den meisten europäischen Mitgliedsstaaten längst selbstverständlich ist. Das Aktionsbündnis Nichtrauchen fordern zu Recht eine Präventionsabgabe auf Tabaksteuern von 0,10 Euro pro Zigarette, die in einen Präventionsfond fließen soll, um ein umfassendes Tabakkontrollprogramm finanzieren zu können und der deutschen Bevölkerung damit den gleichen Standard zu gewähren wie andere EU-Mitgliedstaaten ihren Bevölkerungen.
Ferner fehlt vollständig eine aggressive Gegenwerbung, die angesichts der allgegenwärtigen Tabakwerbung dringend erforderlich ist.
Die Versuche der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in der massenmedialen Tabakprävention sind bisher wirkungslos.
Besonders unheilvoll sind die Verträge des Bundesgesundheitsministeriums und von einzelnen Länderministerien mit der Tabakindustrie zur Finanzierung von Maßnahmen der Tabakprävention. Eine Tabakprävention kann nur dann wirksam und glaubwürdig sein, wenn sie nicht die Interessen der Tabakindustrie berücksichtigt, einer Industrie, die wissentlich und willentlich ein Produkt herstellt, vertreibt und bewirbt, das einen Großteil seiner Konsumenten süchtig und krank macht und frühzeitig versterben lässt.
Deutschland befindet sich langsam aber kontinuierlich auf dem Weg zu einer wirksamen Tabakkontrollpolitik. Das Tempo der Entwicklung wird maßgeblich vom Einfluss der Tabakkonzerne bestimmt. Wenn es aufrechten Politikern gelingt, diesen Einfluss zurückzudrängen, können die vorgeschlagenen wirksamkeitsbasierten Konzepte Wirklichkeit werden.
Dr. Martina Pötschke-Langer
Deutsches Krebsforschungszentrum
WHO Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle
Mitglied des Wissenschaftlichen Aktionskreis Tabakentwöhnung (WAT) e.V.
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