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Absenkung des Unfallrisikos von Fahranfängern. Neue Maßnahmenansätze in Deutschland
Vita Georg Willmes-Lenz
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Georg Willmes-LenzGeorg Willmes-Lenz

Vita


Abstract

Ausgangslage

In Deutschland besteht ein hoher verkehrspolitischer Handlungsbedarf zur Absenkung des Unfallrisikos junger Fahrer. Mit einem fünffach höheren Unfallrisiko gegenüber dem Gesamtdurchschnitt ist die Altersgruppe der 18- bis 20-jährigen am stärksten gefährdet. In dieser jüngsten Altersgruppe der Pkw-Fahrer finden sich die höchsten Anteile von Fahranfängern. Im statistischen Durchschnitt sind Pkw-Fahranfänger in Deutschland pro Tag an 3-4 Unfällen mit Getöteten, an 45 Unfällen mit Schwerverletzten und an 170 Unfällen mit Leichtverletzten beteiligt. In über 60 Prozent sind dabei die Fahranfänger Hauptverursacher dieser Unfälle.

Eine Hauptursache des überdurchschnittlichen Unfallrisikos von Fahranfängern ist ihre fahr-praktische Unerfahrenheit. Bis zur Fahrprüfung legen deutsche Fahranfänger lediglich 500 bis 1000 km im praktischen Fahrschulunterricht zurück. Aus neuen Untersuchungen zum Verlauf des Unfallrisikos geht hervor, dass das Unfallrisiko von Fahranfängern innerhalb der ersten neun Monate nach Erwerb der Fahrerlaubnis auf 50 Prozent des Ausgangsrisikos sinkt (SCHADE, 2001). Fahrpraktischer Erfahrungsaufbau erweist sich somit als wirksames Mittel zu einer nachhaltigen Verringerung des Fahranfängerrisikos.

Derzeit bestehen in Deutschland noch keine Maßnahmenansätze, um Fahranfänger bereits zum Start in die selbständige Fahrkarriere mit umfassenderen fahrpraktischen Erfahrungen auszustatten. Im Ausland wurden dagegen seit den 90er Jahren mit entsprechenden Maßnahmenansätzen beträchtliche Erfolge erzielt: So wurde in Schweden das Unfallrisiko von Fahranfängern um 40 Prozent, in Nordamerika - je nach Maßnahmenausgestaltung - zwischen 4 und 60 Prozent gesenkt (GREGERSEN, 2000; MEI-LI LIN, 2003).

In Deutschland ist das Interesse an den neuen fahrpraxisbezogenen Maßnahmenansätzen zur Senkung des Fahranfängerrisikos erwacht, nachdem sie dem deutschen Fachpublikum auf der Zweiten Internationalen Konferenz "Junge Fahrer und Fahrerinnen" im Oktober 2001 vorgestellt wurden. Kurz darauf hat das im Januar 2002 von sechs norddeutschen Bundesländern vorgelegte Fachkonzept für ein Modell des "Begleitetes Fahrens" eine lebhafte öffentliche Diskussion hervorgerufen.

Im Mai 2002 richtete der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen bei der Bundesanstalt für Straßenwesen die Projektgruppe "Begleitetes Fahren" mit Experten aus Bund und Ländern, Verbänden und Wissenschaft ein, nachdem in einer Auswertung der BASt zu den neuen ausländischen Maßnahmenansätzen festgestellt wurde, dass in Deutschland aufgrund des Gefährdungsschwerpunkts von Fahranfängern unmittelbar am Anfang der Fahrkarriere die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung fahrpraxisbezogener Maßnahmenansätze bestehen (vgl. WILLMES-LENZ, 2002).

Die Projektgruppe erhielt den Auftrag, die Übertragbarkeit der ausländischen Erfahrungen zu prüfen und ggf. einen Modellvorschlag für einen fahrpraxisbezogenen Maßnahmenansatz in Deutschland zu erarbeiten.


Ergebnis der Projektgruppenarbeit

Bereits im Januar 2003 stellte die Projektgruppe ihre Überlegungen zu einem Modellkonzept "Begleitetes Fahren ab 17" auf dem 41. Verkehrsgerichtstag in Goslar vor. Der dort präsentierte Vorschlag greift den Ansatz einer längerfristigen fahrpraktischen Vorbereitung von Fahranfängern auf und bindet ihn in ein Gesamtkonzept ein, das umfassend auf die deutschen Fahrausbildungsgegebenheiten abgestellt ist.

Das Projektgruppenmodell erhielt in Goslar eine nahezu einstimmige Befürwortung durch das anwesende Fachpublikum. In den Empfehlungen des Verkehrsgerichtstags wurde der verkehrspolitische Handlungsbedarf für Maßnahmen zur Absenkung des Unfallrisikos junger Fahrer und Fahranfänger unterstrichen und die Forderung erhoben, die Vorbereitungen zur Umsetzung des Projektgruppenvorschlags zügig fortzusetzen. Gleichzeitig wurden Hinweise auf noch bestehenden Überprüfungs- und Klärungsbedarf in einzelnen Punkten gegeben.

Nachdem im Anschluss an Goslar in der Projektgruppe unter Hinzuziehung externer Experten tragfähige Ergebnisse zu den offen gebliebenen Fragen erreicht wurden - es handelt sich dabei um die Fragen der Punktebelastung im Verkehrszentralregister und der Alkoholregelung für Begleiter sowie zivil- und haftungsrechtlicher Fragen -, legte die Projektgruppe im August 2003 ihren abschließenden Modellvorschlag vor, verbunden mit der Aufforderung, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit die interessierten Bundesländer den Maßnahmenansatz erproben können.


Zentrale Merkmale des Projektgruppenmodells

Der Modellvorschlag der Projektgruppe zielt auf eine wesentliche Verlängerung der Lern- und Vorbereitungszeit von Fahranfängern vor dem selbständigen Fahren. Selbständiges Fahren soll, wie bisher, erst ab dem Alter von 18 Jahren möglich sein. Die Lernzeit soll jedoch um das neue Element des "Begleiteten Fahrens" ergänzt werden, damit Fahranfänger bereits beim Start in das Fahren über eine ausreichende Routine und Sicherheit verfügen.

Der Modellvorschlag geht von einer klaren Trennung von Fahrausbildung/Fahrerlaubnisprüfung einerseits und anschließender Phase des Begleiteten Fahrens andererseits aus. Die Fahrausbildung ist vollständig zu durchlaufen und der Fahranfänger ist bereits in der Begleitphase - nach bestandener Fahrerlaubnisprüfung - der verantwortliche Fahrzeugführer. In diesem Punkt unterscheidet sich das Projektgruppenmodell von den anderen Modellen in Europa.

Bis zum Erreichen des Alters von 18 Jahren steht für die Übungspraxis im Rahmen des Begleiteten Fahrens ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zur Verfügung, je nachdem, wie pünktlich zum 17. Geburtstag die Fahrerlaubnis erworben wurde. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Abschätzungen zur Kompetenzentwicklung bei Fahranfängern wird ein Übungsumfang von 5000 km empfohlen.

Begleiter müssen ein Mindestalter von 30 Jahren haben, seit mindestens 5 Jahren ununterbrochen im Besitz der Fahrerlaubnis Klasse B sein und dürfen maximal einen Eintragungsstand von drei Punkten im Flensburger Verkehrszentralregister haben. Um dem Fahranfänger möglichst vielfältige Übungsgelegenheiten zu eröffnen, ist eine personengebundene Zuordnung von Fahranfänger und Begleiter nicht vorgesehen.

Der Begleiter besitzt keine Ausbildungsfunktion. Seine Rolle ist die eines Ansprechpartners, der durch seine Anwesenheit Sicherheit vermittelt, die Erwartung einer sicherheitsangemessenen Fahrweise befestigt und für Fragen zur Verfügung steht, ohne in das Fahrgeschehen einzugreifen. In einer 90-minütigen Vorbereitungsveranstaltung durch eine qualifizierte Person oder Stelle soll er mit dem Modell und der eigenen Aufgabe vertraut gemacht werden.

Das Projektgruppenmodell ist auf das Ziel einer Sicherheitsverbesserung für Fahranfänger ausgerichtet. Dabei wird diese Zielsetzung mit den Zielen der Zugangsfreundlichkeit und der Praktikabilität des Modells verbunden.

Sicherheitsverbesserung meint sowohl eine verbesserte Anfangskompetenz beim Start in die selbständige Fahrkarriere als auch die Gewährleistung eines niedrigen Risikos beim Begleiteten Fahren selbst. Die Zugangsfreundlichkeit zum Modell ist eine wichtige Voraussetzung für die Ausschöpfung des Maßnahmenpotentials zur Verbesserung der Sicherheit. Unnötige Zu-gangs- und Nutzungsbarrieren würden die Beteiligung einschränken und dadurch den Sicherheitsertrag schmälern. Ähnliches gilt für die Zielsetzung der Praktikabilität: Die Regelungsvorschläge sind so gefasst, dass sie eine hohe Akzeptanz in der Zielgruppe finden können, dass finanzieller und organisatorischer Aufwand gering gehalten wird und dass das Modell mit einem minimalen rechtstechnischen Aufwand etabliert werden kann.


Sicherheitspotential des Begleiteten Fahrens

Die Projektgruppe geht aufgrund der Daten zum Risikoverlauf nach dem Fahrerlaubniserwerb (Schade, 2001) davon aus, dass das Begleitete Fahren über ein hohes Potential zur Absenkung des Unfallrisikos von Fahranfängern verfügt. Auch die wissenschaftlichen Befunde aus dem Ausland belegen die grundsätzliche Sicherheitswirksamkeit längerfristiger fahrpraktischer Vorbereitung. Sie liefern wegen der unterschiedlichen Ausbildungs- und Verkehrsgegebenheiten in diesen Ländern jedoch nur Anhaltspunkte. So bleibt der tatsächlich erzielbare Sicherheitsertrag des Begleiteten Fahrens in Deutschland im Rahmen einer praktischen Erprobung zu klären.


Verhältnis des Begleiteten Fahrens zu anderen Maßnahmenansätzen

Der Maßnahmenansatz des Begleiteten Fahrens greift mit den Faktoren Fahrerfahrung und Fahrroutine nur einen Aspekt aus dem Geflecht der vielfältigen Risikoursachen junger Fahrer und Fahranfänger auf. Er kann das Spektrum vorhandener Maßnahmenansätze daher lediglich ergänzen, nicht jedoch andere Maßnahmen ersetzen.

Hier ist auf eine breite Maßnahmenpalette zu verweisen, die vorrangig auf die motivationale Beeinflussung der jungen Fahrer ausgerichtet ist und in der sich viele unterschiedliche Akteure aus Verkehrssicherheitsverbänden, Fahrschulen, Polizei und Schule nachhaltig engagieren.

Die Maßnahme einer freiwilligen Zweiten Ausbildungsphase steht zur Zeit besonders im Blickpunkt. Mit der Fahranfängerfortbildungsverordnung (FreiwFortbV) wurde sie im Mai 2003 auf der rechtlichen Ebene eingeführt. Ihre praktische Umsetzung läuft zur Zeit in vielen Bundesländern an.

Bei der 'Freiwilligen Zweiten Phase' handelt es sich um eine Kombination aus Unterricht, Fahren im Realverkehr und fahrpraktischen Sicherheitsübungen auf einem Fahrübungsgelände. Die Teilnehmer müssen mindestens bereits sechs Monate im Besitz der Pkw-Fahrerlaubnis sein. Das Maßnahmenziel besteht in der Förderung der sicherheitsorientierten Einstellungen. Der Weg hierzu wird über die pädagogisch angeleitete Aufarbeitung der ersten eigenen Erfahrungen als Autofahrer gesucht.