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Lärmschutz: Warum Ruhe für Kinder so wichtig ist
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Peter OhnesorgeDr. med. Peter Ohnsorge, HNO-Arzt, Würzburg


Am Modell eines Ohres erkennt man den äußeren Gehörgang, das Trommelfell, die Gehörknöchelchenkette, die im Steigbügel endet, das Innenohr und das Gleichgewichtsorgan mit dem ableitenden Nervensystem. Um dieses Innenohr, das Sinnesorgan des Ohres, wird es im folgenden gehen. Das Innenohr hat zahlreiche Nervenzellen, die sehr empfindlich auf Schädigungen verschiedener Art und unter anderem auf Lärm reagieren.

Warum ist es gerade wichtig, dass insbesondere Kleinkinder und Kinder vor Lärm bewahrt werden und ein gutes Gehör ausbilden? Im frühen Kindesalter geht die Entwicklung besonders schnell voran: im Gehirn entstehen Bahnungen, die garantieren, dass Prozesse später erlernt werden können. Auch das Hören muss durch Bahnungsprozesse im Gehirn gelernt werden. Mit dem vierten, fünften Lebensjahr ist diese Phase weitestgehend abgeschlossen. Ist das Gehör bis dahin nicht trainiert worden, wird dies schwer nachzuholen sein, was auch am so genannten Kreisschluss der Sprachentwicklung gezeigt werden kann: Eine Bezugsperson spricht dem Kind vor, das Kind hört zu und ahmt nach. Wenn das Kind korrekt nachspricht, wird es bestätigt: der Kreis schließt sich, bis das Gehör vollständig ausgebildet ist.
Aber nicht nur Kleinkinder, sondern auch Jugendliche sind besonders schutzbedürftig. Irreparable Schäden nehmen bei ihnen weiter zu. Sind sie erst vorhanden, kommt es zu Kommunikationsstörungen und Einschränkungen, eventuell sogar bei der Berufswahl. Stressspezifische Störungen, Erkrankungsprozesse, Blutdruckschwankungen und Herzerkrankungen bis hin zum Herzinfarkt sind durch Lärmschädigungen zu erwarten. Zwar treten sie bei Jugendlichen seltener auf, aber sie werden präformiert. Zu den Symptomen zählen auch Schlafstörungen, Reduktion der Stressfähigkeit und die psychosomatischen Störungen. Konzentrationsstörungen beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit in Schule, Lehre und Beruf. 
Die Einschränkung der Berufswahl durch ein geschädigtes Gehör ist immens. Einige Berufe können nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen ergriffen werden. Hierzu zählen zum Beispiel der Beruf des Piloten, des Kameramanns oder Musikers, des Lehrers und auch die Lärmberufe Automechaniker, Schreiner, Schlosser, Textilverarbeiter. Hat sich in der Jugend erst ein Lärmschaden manifestiert, dürfen diese Berufe eigentlich nicht erlernt werden, denn zumeist treten im Alter vorn 30 oder 35 Jahren chronische Erkrankungsprobleme hinzu, die es dann kaum mehr ermöglichen, den Beruf weiter auszuüben.
Lärm ist der wesentlichste Schädigungsfaktor des Innenohres, daher ist Lärmschutz in Freizeit und Beruf für die Gesundheit eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen.

Kinder werden zwar vor Lärm geschützt, aber tagtäglich gehen wir mit immensen Lärmquellen um. 85 Dezibel (db) ist zum Beispiel der oberste Grenzwert, der in einer 40 Stunden-Arbeitswoche nicht überschritten werden darf, um das Gehör nicht zu schädigen.
Feuerwerkskörper haben aber bereits 170 db, ein Knackfrosch am Ohr 130 db und Trillerpfeifen 120-128 db. Selbst lautes Schreien in Ohrnähe (95 db) kann ein erhebliches Lärmtrauma, eine erhebliche Lärmverletzung, darstellen. Viel zu laut ist oft auch die Musik, die über Walkman, Discman oder in Diskotheken und Konzerten gehört wird. Auch im Kino werden Lautstärken gemessen, die weit über einem noch gesundheitsverträglichen Pegel liegen.

Ein Dezibel (db) ist eine logarithmische Einteilung der Lautstärke. Pegelerhöhungen von drei db bedeuten, dass es nicht linear drei Stufen nach oben geht, sondern eine Verdopplung des Höreindrucks entsteht. Von 90 db auf 93 db hoch bedeutet auch eine Verdopplung der Hörgefährdung. 
In Diskotheken oder Kinos ist es nicht unüblich, 105 db über 4,8 Minuten zu hören: dies entspricht einer Lärmbelastungen während einer 40 Stunden Arbeitswoche mit 8 Stunden-Tag bei der normalen Lärmschutzgrenze von 85 db.  
Diese Zahlen zeigen, welchen Hörbelastungen sich Jugendliche - und Kinder - aussetzen.

Prüft man das Hörvermögen und die Hörgewohnheiten über Walkman bei Kindern zwischen 10 und 20 Jahren, so wird deutlich, dass 95 db schnell erreicht sind. Bei drei Stunden mit 95 db - keine Seltenheit bei den 15-Jährigen - ist dann die Grenze zum Lärmschaden am Arbeitsplatz bei weitem überschritten.

Bei Messungen in Diskotheken, ergaben Mittelpegelmessungen 1984, dass 50% der Messungen über 100 db, bis 105 db lagen. 1994 lagen die Ergebnisse mit 40 % über diesen Werten. Diese Werte wären im weitesten Sinne als tolerabel zu bezeichnen, aber die Messungen werden immer zu Beginn vorgenommen und in Diskotheken wird ungefähr jede Stunde oder alle zwei Stunden die Lautstärke um 2 bis 3 db erhöht. Der Höreindruck wird damit verdoppelt, weil sich sonst ein Gewöhnungseffekt einstellt. Der Mensch gewöhnt sich an Lärm. Die Auswirkungen dieser Diskotheken-Routinen auf das jugendliche Gehör sind fatal.

Diskothekenbesuche zwei mal im Monat sind normal für Jugendliche, einige aber gehen auch sechs bis acht mal im Monat. Ein Lärmschaden ist da vorprogrammiert. An einem modifizierten Lärmmeter der Fördergemeinschaft Gutes Hören (zusammen mit dem Grünen Kreuz), ist zu erkennen, dass bis 85 db noch Möglichkeiten bestehen, mit Ruhephasen den Lärmschaden abzuwenden. Oberhalb dieser Einwirkung über 40 Stunden in der Woche sind Lärmschäden allerdings unvermeidlich. Gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Herzkreislauf- oder Konzentrationsprobleme treten bereits bei 40 db Dauerlärm auf.

Übliche Wohngeräusche liegen bei 45 db durch Sprechen oder Radio hören. Dauerpegel im Hauptstraßenverkehr tagsüber liegen bei 65 db 
Ein anatomisches Präparat der Hörschnecke zeigt die feinen Sinneshärchen. Am unteren Teil der Schnecke werden die hohen Töne abgebildet. Sie sind im Prinzip zuerst von einem Lärmschaden betroffen und können nicht mehr wahrgenommen werden. Die entsprechenden Nervenzellen sind durch den Lärmschaden wie weggefressen und unwiderruflich, irreparabel verschwunden. Weder durch eine Operation noch mit Medikamenten ist dieser Schaden zu beheben. Er bleibt lebenslang.

Eine Studie an norwegischen Rekruten im Alter von 18 Jahren ergab zwischen 1981 bis 1992, dass in den Jahren 1985 bis 1989 erschreckende knapp 15% einen beidseitigen Lärmschaden aufwiesen. Mehr als 33% hatten einen einseitigen Lärmschaden und mussten aussortiert werden, weil sie nicht schießen dürfen, denn das würde den Lärmschaden vergrößern. Die vorhandenen Lärmschäden sind bereits unwiderruflich, d.h. die heute 18-Jährigen mit Lärmschaden sind die Hörgerätträger von morgen.
Kinder bedürfen im Reifungsprozess der ersten Jahre eines besonderen Schutzes. Dieser Schutz ist nicht auf die Vermeidung von Lärm beschränkt: auch bakterielle, virale, allergologische und Intoleranzreaktionen - vor allem auf Lebensmittel - können zu Hörschäden führen. 
Eine gesunde Lebensführung muss wieder neu erlernt werden: dies betrifft die Ernährung, die sozialen Strukturen in den Familien, die Erholungsphasen für lärmgeschädigte Ohren.
Die Berufsgenossenschaften verlangen, dass ein Gutachten über die Lärmschädigung eines Arbeiters erst nach 24 bis 48 Stunden Lärmpause erstellt wird, weil ein Gehör sich wieder erholt. Lärmpausen sind also äußerst wichtig, damit sich das Gehör - auch von Kindern und Jugendlichen - erholen kann. Um dies den Kindern und Jugendlichen klarzumachen, sind verstärkt Aufklärung und Erziehung notwendig. 
Lärmschutz muss am Arbeitsplatz und im häuslichen Bereich geschehen, damit die Dauerlärmbelastung nur noch im Niedriglärmbereich stattfindet. 
Genussmittel, Medikamente, Nervengifte im Wohnumwelt müssen minimiert werden. Dies ist auch für die Entwicklung und Erhaltung eines gesunden Gehörs von großer Bedeutung: Kinder und Jugendliche, die über einseitige Ernährung mangelhaft mit Nährstoffen versorgt sind, am Wochenende Drogen konsumieren, im häuslichen Bereich Formaldehyd geschwängerte Möbel um sich haben, können mit ihrem Nervensystem nicht adäquat auf Hörbelastungen reagieren.
Prävention muss in verschiedenen Etagen starten: die Familie hat hier Vorbild- und Erziehungsfunktion. Was den Gebrauch von Handys angeht, so sollten Kinder es maßvoll nutzen. Das Handy ist eine potentielle Schädigungsquelle, die direkt ans Ohr gelangt. Eindeutig nachgewiesen sind die thermischen Effekte unmittelbar am Ohr, die es auf ein Minimum zu reduzieren gilt, daher: keine stundenlangen Gespräche am Handy!

Als HNO-Arzt, der wöchentlich bis zu fünf durch den Aufenthalt in Diskotheken bedingte Hörstürze behandeln muss, plädiere ich für umfassende Präventionskonzepte.

Abschließen möchte ich mit einem Sinnspruch aus dem Bremer Museum Universum: "Das Auge des Menschen führt die Menschen in die Welt, das Ohr führt die Welt in die Menschen."