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Gesundheit von Müttern und Kindern: Erfolge und Defizite
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Startseite : 2005 Mutter und Kind : zentrale Veranstaltung : Dokumentation : Gesundheit von Müttern und Kindern: Erfolge und Defizite

 Gesundheit von Müttern und Kindern - Erfolge und Defizite

Prof. Dr. Elisabeth MerkleProf. Dr. Elisabeth Merkle

Vita


Die Gesundheit von Müttern und Kindern war in Deutschland noch nie so gut wie derzeit. Betrachten wir die Müttersterblichkeit und die perinatale Mortalität, so sehen wir, dass in Deutschland 12 Frauen pro 100.000 Geburten versterben, die perinatale Mortalität ist bei 4,4 pro Tausend Geburten.
Aufgrund der Verbesserung der Betreuung von Schwangeren und Gebärenden sowie der Verbesserung intensivmedizinischer Maßnahmen haben sich diese Zahlen in den letzten Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich verbessert.
Wir müssen jedoch auch feststellen, dass die Zahl der Geburten in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen hat. So hat nach Angaben des Stat. Bundesamtes Deutschland neben Slowenien die niedrigste Geburtenrate in Europa. Die Zahl der Geburten nimmt seit den geburtenstarken Jahrgängen der 50er und 60 er Jahre kontinuierlich ab.
Demgegenüber nimmt das Alter der Mütter bei der Geburt des Kindes zu. So waren im Jahr 2003 über 55% der Mütter über 30 Jahre und über 20% der Mütter über 35 Jahre bei Geburt ihres Kindes (Qualitätsbericht Geburtshilfe, Bayer. Landesärztekammer).
Die Risiken für die Schwangerschaft und für das Ungeborene werden häufig nicht bedacht. So sind Rauchen, Alkoholkonsum und ungesunde Lebensweise auch heute noch Probleme bei der Betreuung Schwangerer.
Während die Zahl der männlichen Raucher in Deutschland kontinuierlich abnimmt, ist leider ein Anstieg bei den weiblichen Raucherinnen mit allen negativen Folgen zu verzeichnen.
Erfreulich ist die gestiegene Lebenserwartung, die derzeit bei 81 Jahren bei Frauen und bei 75 Jahren für Männer liegt.
Aufgrund der niedrigen Geburtenzahl von durchschnittlich 1,3 Kindern pro Paar hat sich die Wachstumsrate in den negativen Bereich von - 0,1% verschoben. Nur noch 16% unserer Bevölkerung ist unter 15 Jahren, das entspricht dem Anteil der Menschen über
65 Jahren.
Die niedrige Geburtenrate entspricht jedoch nicht dem Wunsch der Frauen. So wünschen sich nach Auskunft der BZGA die 20-34 jährigen Frauen unabhängig vom Bildungsgrad durchschnittlich 1,8 Kinder, während die Wirklichkeit zeigt, dass die 35-39 jährigen Frauen durchschnittlich 1,3 Kinder geboren haben, wobei bei Frauen mit hohem Bildungsgrad die Zahl der Geburten geringer ist als bei Frauen mit niedrigem Bildungsgrad.
Dies bedeutet, dass zwischen Wunsch und Realität eine Diskrepanz ist. Offensichtlich besteht für viele Frauen ein Problem der Vereinbarkeit von Kindern und Beruf. Fehlende Kinderversorgung während der Arbeitszeit, Verhinderung von Karrierechancen durch Kinder, sozialer Abstieg und finanzielle Probleme spielen eine Rolle.
Maßnahmen hiergegen sind die Schaffung von optimalen Rahmenbedingungen durch Politik und Gesellschaft, Aufklärung der Bevölkerung über bereits bestehende Hilfen, die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensplanungen, aber auch die Stärkung von Eigenverantwortung und die bessere Akzeptanz von Kindern und kinderreichen Familien im täglichen Leben.
Durch die Zunahme der Anzahl von Ehescheidungen steigt naturgemäß auch die Zahl Alleinerziehender, die die Probleme besonders betreffen. Auch hier ist gesellschaftliche Akzeptanz und Förderung notwendig.
Nicht genug zu betonen ist auch die Notwendigkeit, gerade ältere Menschen in die Gesellschaft besser zu integrieren. So leben über 60% aller 65 jährigen Frauen alleine.
Die Verantwortung der Familie und auch der Gesellschaft für die alten Menschen ist unbedingt zu fordern, sehen wir uns doch in Zukunft einer Gesellschaft gegenüber, die wesentlich mehr alte Einwohner hat als jemals zuvor. Sofern es nicht gelingt, hier eine gemeinsame Basis für Alt und Jung zu schaffen, wird der Generationenkonflikt forciert. Dies kann nicht im Sinne unserer Gesellschaft sein. Hier sind die Bemühungen aller Altersgruppen gefordert.

Wenden wir nun den Blick weg von Deutschland und betrachten die Mütter- und Kindersterblichkeit weltweit, so eröffnet sich ein grausames Szenario.
Jede Minute stirbt weltweit mindestens eine Frau an Folgen von Schwangerschaft und Geburt, das sind ca 530.000 Frauen jährlich. 99% der Müttersterblichkeit findet sich in den Entwicklungsländern. Es ist erschreckend, dass in Zentralafrika eine von 13 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt verstirbt. Zum Vergleich hierzu: In Westeuropa stirbt eine von 4.085 Frauen an den Folgen der Gravidität oder der Geburt.
Wir wissen auch, dass sich das Sterberisiko für Kinder bis 5 Jahren verdoppelt, sofern die Mutter bei der Geburt stirbt (DSW).
98% aller Totgeburten, ca 4 Mio pro Jahr, betreffen die Entwicklungsländer. Weitere vier Mio Babies sterben in den ersten vier Wochen.
Ursachen für die hohe Mütter- und Kindersterblichkeit in den Entwicklungsländern sind mangelnde medizinische Betreuung, Blutungen, Infektionen, mangelnde hygienische Verhältnisse, fehlendes sauberes Wasser, fehlende Impfungen, Untergewicht, Unterernährung etc.
Nach Angaben der WHO wären 70% aller Todesfälle bei Kindern durch Vorbeugung und Behandlung zu verhindern.
Es muss unser Ziel sein, die medizinische Betreuung in den Entwicklungsländern zu verbessern, Fachpersonal auszubilden, die Armut zu bekämpfen und hierdurch den sozialen Status zu verbessern, das Stillen zu fördern, die Hygiene zu verbessern und durch Impfungen den Schutz vor Infektionen auszubauen.
Bei der Betrachtung der Mütter- und Kindergesundheit muss auch auf die weltweit steigende Zahl von Infektionen hingewiesen werden. So waren 2003 39,4 Mio Menschen an HIV infiziert, davon allein 2,2 Mio Kinder <15 Jahren. Allein im Jahr 2004 waren 4,9 Mio Neuinfektionen an HIV zu verzeichnen, davon 640.000 an Kindern. 3,1 Mio Menschen, davon 510.000 Kinder sind 2004 an AIDS verstorben.
Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Die Industrienationen und jeder Einzelne ist hier in der Verantwortung. Die weltweiten Maßnahmen der WHO sind hier vorbehaltlos zu unterstützen.

Ein weiteres Problem mit drastischen Ausmaßen ist die weibliche Genitalverstümmelung, auch Beschneidung genannt. Weltweit sind hiervon 150 Millionen Frauen betroffen. Jährlich werden >2 Millionen Mädchen beschnitten, das sind 6.000 Mädchen täglich.
Neben den körperlichen Schäden wie Blutverlust, Schmerzen, chronische Infekte, Sterilität, Risiken bei späteren Geburten und natürlich auch Todesfolgen dieser Maßnahmen sind auch die seelischen Schäden wie Depressionen, bis hin zum Suizid, Beeinträchtigung der Lebensqualität, sowie sexuelle Schwierigkeiten, Schmerzen beim Verkehr und Libidoverlust zu erwähnen.

Aufklärungsarbeit, Ausbildung von weiblichen Vertrauenspersonen, medizinische Hilfe und weitere Maßnahmen sind hier dringend geboten.

Doch wenden wir uns wieder Deutschland zu.

Ein großes Problem ist die hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen bei Jugendlichen eingehen. Diese haben in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen.
Nach Angaben des Stat. Bundesamtes waren im Jahr 2003 7.645 Schwangerschaftsabbrüche bei Jugendlichen unter 18 Jahren zu verzeichnen.
Jährlich werden circa 14.000 Mädchen unter 18 Jahren schwanger.
Eine ungewollte Teenagerschwangerschaft ist immer eine große Belastung für das junge Mädchen, unabhängig davon, ob es sich für oder gegen das Kind entscheidet.
Obwohl es scheint, dass die Jungendlichen durch Presse, Rundfunk, Fernsehen, Elternhaus, Schule etc gut aufgeklärt sind, sieht die Realität anders aus. So wissen 25% der 15 -16 jährigen Mädchen nicht, ab wann man schwanger werden kann. 82% kennen die fruchtbaren Tage nicht und 68% gaben an, dass im Unterricht noch nie das Thema "Frauenarzt/Frauenärztin" angesprochen wurde (ÄGGF und Robert-Koch-Institut).
Trotz dieser fehlenden Aufklärung hatten 38% der Mädchen und 29% der Jungen zwischen 14 und 16 Jahren bereits Geschlechtsverkehr, wobei 12% der Mädchen und 16% der Jungen beim ersten Mal keinerlei Verhütungsmittel anwandten.
Hier sind die Eltern, die gesamte Familie, die Medien, die Schulen und vor allem auch wir Frauenärzte gefordert. Ich bitte Sie, den jungen Mädchen in vertrauensvoller Atmosphäre die notwendigen Informationen zu geben und ihnen auch die Scheu vor dem Frauenarzt/der Frauenärztin zu nehmen.
Aufgeklärte Jugendliche gehen verantwortungsvoll mit ihrer Sexualität um. Es hat keinen Sinn, die Tochter nicht zum Frauenarzt zu schicken mit der Hoffnung, sie werde keinen Verkehr haben, wenn sie keine Pille bekommt und nicht über Verhütung aufgeklärt wird. Gerade die körperliche und seelische Gesundheit der Jugendlichen muss uns allen am Herzen liegen und daher appelliere ich an alle, diese Situation ernst zu nehmen und verantwortungsvoll die nächste Generation zu betreuen.

Befassen wir uns mit der Gesundheit der Kinder, so ist unbedingt auch auf den Sozialstatus zu verweisen. Nach Angaben der UNICEF wächst in den reichen Ländern die Kinderarmut. Die Kinderarmut ist in Deutschland mit 2.7% seit 1990 stärker gestiegen als in den meisten Industrienationen. >45 Millionen Kindern in OECD Staaten wachsen in Familien auf mit weniger als der Hälfte des Durchschnittseinkommens.
In Deutschland lebt jedes 10. Kind in relativer Armut, wobei die Kinderarmut schneller wächst als die Erwachsenenarmut. Sie betrifft 1,5 Millionen Kinder unter 18 Jahren, hier sind vor allem Zuwandererfamilien und Kinder von Alleinerziehenden betroffen.
Armut grenzt aus: schlechte Wohnverhältnisse, mangelnde Hygiene, weniger Zugang zu Bildungsmaßnahmen, häufigere gesundheitliche Probleme, unzureichende soziale Angebote in den entsprechenden Wohnvierteln sind ein Pulverfass. Hier sind neben sozialpolitischen Maßnahmen vor allem auch alle Mitglieder der Gesellschaft gefordert. Die Politik kann nur die Rahmenbedingungen verbessern, jeder Einzelne jedoch kann durch Integrationsbemühungen, Akzeptanz dieser Kinder und ihrer Eltern, Hilfsmaßnahmen und vieles mehr zur Verbesserung der Situation beitragen.

Unser Gesundheitssystem bietet uns nicht nur Hilfe bei Krankheit. Es gibt auch zahlreiche präventive Leistungen.
Betrachten wir die Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern, so sehen wir, dass die Akzeptanz vor allem in den ersten Lebensjahren bei einer Teilnahmequote von über 90% sehr hoch ist. Bei den älteren Kindern nimmt diese Quote deutlich ab. Insgesamt nehmen Kinder, deren Eltern einen mittleren oder hohen sozialen Status haben, deutlich häufiger an den Vorsorgeprogrammen teil. Auch hier ist dringend Aufklärungsarbeit nötig.

Werfen wir nun einen Blick auf die Akzeptanz der Vorsorgeuntersuchungen bei Erwachsenen, so ist hier ein deutliches Defizit zu verzeichnen. Insgesamt nehmen wesentlich mehr Frauen als Männer an Krebsvorsorgeuntersuchungen teil. So haben im Jahr 2001 48,6% der Frauen, jedoch nur 19,9% der Männer an der Krebsvorsorgeuntersuchung teilgenommen. Bei den Frauen nimmt jedoch die Bereitschaft zu Vorsorgeleistungen ab einem Lebensalter von circa 60 Jahren deutlich ab.
Diese Frauen müssen motiviert werden, weiter zur Vorsorge zu gehen, nimmt doch gerade Brustkrebs in diesem Lebensalter zu. Es kann nicht genug betont werden, dass eine Früherkennung von Krebs Leben retten kann.
Bestürzend ist, das im letzten Jahr die Zahl der Patienten, die ihren Arzt zu Vorsorgeuntersuchungen aufgesucht haben, drastisch zurückgegangen ist. Nach Auskunft des Zentralinstituts für die kassenärztliche Vereinigung sind 2004 die Fallzahlen in den Arztpraxen um 8.4% zurückgegangen.

Wichtig bei der Gesundheit von Müttern und Kindern erscheint neben der Aufklärung über Vorsorgeuntersuchungen auch die Aufklärung über die Verantwortung für den eigenen Körper und die Gesundheit der Familie.
Änderung der Lebensgewohnheiten, Beendigung des Rauchens, Reduzierung von Genussgiften wie Alkohol und Koffein, Verbesserung der Hygiene, Vermehrung sportlicher Aktivitäten, gesunde Ernährung mit frischen vitaminhaltigen Lebensmitteln, Verbesserung der sozialen Kontakte innerhalb der Familie und im Umfeld, Übernahme von Verantwortung und positive Lebenseinstellung sind Schritte auf dem Weg zu besserer Familiengesundheit in den Industriestaaten.

In den Entwicklungsländern mit den enormen Defiziten der Mütter- und Kindergesundheit sind neben politischen Maßnahmen, Entwicklungshilfeprogrammen, Programmen zur Selbsthilfe, medizinischen Betreuungsprogrammen auch Hilfen durch Spenden durch die Bevölkerung der Industrienationen notwendig.
Wir dürfen uns in Zeiten der Globalisierung unserer Verantwortung für die Gesundheit und die Verbesserung des sozialen Status in den Entwicklungsländern nicht entziehen.

Gesunde Mütter, gesunde Väter und gesunde Kinder sind erforderlich für die Fortentwicklung jeder Gesellschaft. Dies muss daher unser aller Anliegen sein.


Prof. Dr. Elisabeth Merkle
Luitpoldstrasse 1
83435 Bad Reichenhall
Tel.: 0 86 51 / 15 01
E-Mail: e.merkle@web.de