Sehr geehrte Frau Kuehn-Mengel,
sehr geehrte Frau Caspers-Merk,
sehr geehrte Frau Professor Merkle,
meine Damen und Herren,
Ich bin froh, dass ich heute bei Ihnen sein kann, in Vertretung von Frau Dr. Kerstin Leitner, Beigeordnete Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation, die aus Krankheitsgründen an der heutigen Veranstaltung leider nicht teilnehmen kann. Als Mitarbeiter der WHO, die sich für eine Beteiligung aller Gesellschaftsgruppen an der Gestaltung der Gesundheitspolitik ausspricht, freue ich mich besonders, dass eine Nichtregierungsorganization wie die Bundesvereinigung für Gesundheit und die Bundesregierung zusammenkommen. Denn Gesundheit ist eine Aufgabe in deren Erfüllung sich die einzelnen Menschen, Familien, zivile Gesellschaftsorganisationen und die Regierung die Verantwortung teilen müssen.
Ich bringe Ihnen auch die Grüße des Generaldirektors der WHO, Herrn Dr. Lee, der in wenigen Stunden in Neu Dehli, gemeinsam mit dem indischen Ministerpräsidenten die Diskussionen über das Thema des Weltgesundheitstages 2005 anführen, und den Weltgesundheitsbericht 2005 vorlegen wird.
Der diesjährige Weltgesundheitstag, der nun schon seit 50 Jahren in Deutschland gewürdigt wird, greift diesmal ein Thema auf, das eigentlich kein Thema mehr sein sollte, nämlich die Gesundheit von Müttern und Kindern. Es sollte zwar kein Thema mehr sein, aber die globale Situation hat die WHO dazu veranlasst, es wieder einmal weltweit zur Diskussion und zur Reflektion zu stellen, um dadurch Anstöße für weitergehende Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit von Müttern und Kindern zu geben.
Die WHO geht davon aus, dass zur Zeit jährlich etwa 136 Million Kinder geboren werden. Ca. 11 Millionen Kinder sterben jährlich vor Erreichen des 5. Lebensjahres, 4 Millionen davon in den ersten 28 Tagen ihres Lebens. Nicht mitgezählt sind die 3,3 Millionen Totgeburten pro Jahr. Es wird geschätzt, dass es 211 Millionen Schwangerschaften jährlich gibt, von denen 46 Millionen durch Abtreibungen beendet werden, wobei von diesen etwa 40 Prozent unter medizinisch fragwürdigen Bedingungen erfolgen. Etwa 530.000 Frauen sterben jedes Jahr im Laufe der Schwangerschaft oder während der Geburt.
Unsere Statistiken zeigen also, dass jedes Jahr noch etwa 11 Millionen Kinder unter 5 Jahren und eine halbe Million Mütter eines Todes sterben, den wir eigentlich zu verhindern wissen. Weit über die Hälfte der etwa 4 Millionen neugeborenen Kinder sterben in gerade einmal sechs Ländern: China, Indien, Pakistan, sowie drei afrikanische Länder, nämlich Nigeria, äthiopien und die Demokratische Republik Kongo. Nur etwa ein Prozent der weltweiten Sterbefälle von neugeborenen Kinder treten in den entwickelten Ländern auf. Die WHO schätzt, dass jedes Jahr siebzig Millionen Mütter und ihre neugeborenen Kinder, und eine weitere Anzahl älterer Kinder keinen Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung haben, und damit einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind. Und leider wird die Zahl derer, die sich aus Armut keine Gesundheitsversorgung leisten können weltweit immer größer.
Besonders zu betonen ist, dass die WHO nicht nur für eine bessere Gesundheitsversorgung plädiert, sondern auch sagt, dass eine soziale Besserstellung der Frau in der Familie und in der sie umgebenden Gemeinschaft eine wichtige Voraussetzung für eine Verbesserung der Gesundheitssituation ist.
Im Laufe des Tages werden wir die Bedingungen, um die Gesundheit von Müttern und Kindern zu garantieren, unter mehreren Gesichtspunkten betrachten und diskutieren. Dabei werden wir verständlicher- und auch berechtigterweise die Situation in Deutschland vornehmlich im Auge haben. Trotzdem möchte ich Sie bitten, auch den Müttern und Kindern in anderen Teilen der Welt Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Jedes Jahr gebären etwa 2.2 Millionen Frauen mit HIV/AIDS Kinder. Im Afrika südlich der Sahara ist das Risiko von Frauen im Laufe ihres Lebens an einer Schwangerschaft oder Geburt zu sterben etwa 1:16, in Ländern wie Deutschland 1:8000. Diese Zahlen zeigen Ihnen, wie rudimentär die Herausforderungen in vielen Ländern der Erde immer noch sind.
Während global die Zahl der Kinder, die eine Frau im Durchschnitt gebärt, rückläufig ist - zur Zeit ist sie 2.7 im Vergleich zu 5 am Anfang der 60er Jahre - so sind die gesundheitlichen Bedingungen für Mütter und Kinder nur von sehr langsamen Verbesserungen gekennzeichnet und in mehreren Ländern stellen wir sogar eine Verschlechterung der Lage von Müttern und Kindern fest.
Die Millenniumentwicklungsziele beinhalten, dass bis zum Jahr 2015 die Müttersterblichkeit auf ¼ und die Kindersterblichkeit auf 1/3 reduziert wird. Bei dem derzeitigen Tempo würden wir allerdings 150 Jahre brauchen, um diese Ziele tatsächlich zu erreichen.
Deshalb sagt die WHO auch, dass global mehr in die Gesundheitsversorgung von Müttern und Kindern investiert werden muss. Wir plädieren für eine integrierte Gesundheitsversorgung, die Mütter und Kinder, einschließlich der Neugeborenen als eine besondere Gruppe, erfasst. Es sind oft einfache Maßnahmen, die große Auswirkungen haben. Eine der wirksamsten Maßnahmen, um Mütter- und Kindersterblichkeit zu verringern, wäre die Bereitstellung professioneller Geburtenhilfe. Aber im Afrika südlich der Sahara gebären etwa 60 Prozent aller Mütter ohne eine solche Hilfe.
Um eine bessere Versorgung zu erreichen, würden dort etwa 330.000 zusätzliche Hebammen über die nächsten 10 Jahre benötigt. Zusätzlich müssten etwa 140.000 Angehörige des medizinischen Personals sowie 27.000 ärzte eine zusätzliche Ausbildung für Geburtenhilfe durchlaufen. In dem gleichen Zeitraum werden etwa 52,4 Milliarden US Dollar benötigt, um eine merkliche Verbesserung in den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeit zu erzielen.
Ich hoffe deshalb, dass Sie sich in Ihren Diskussionen diesen Dimensionen des Problems nicht verschliessen, und all denen, die aktiv in der Entwicklungspolitik engagiert sind, ihre Unterstützung zukommen lassen.
Die Zahlen, die ich hier zitiert habe, stammen aus dem diesjährigen Weltgesundheitsbericht, der noch bis morgen früh unter Embargo steht. Aber danach werden Sie die Gelegenheit haben ihn von der WHO Webseite runterzuladen, oder, falls wir die nötigen Ressourcen mobilisieren können, ihn auch bald auf Deutsch lesen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Maged Younes
Weltgesundheitsorganisation
Direktor des Büros der Beigeordneten Generaldirektorin Frau Dr. Kerstin Leitner
Avenue Appia 20
1211 Geneva 27
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Tel.: +(41 22) 79 13 574
E-Mail: younesm@who.ch