Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Frau Kühn-Mengel,
sehr geehrte Frau Doktor Leitner,
sehr geehrte Frau Professor Merkle,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
50 Jahre Weltgesundheitstag in Deutschland - das sind 50 Jahre, in denen die Bundesvereinigung für Gesundheit die Weltgesundheitstage in Deutschland vorbereitet und durchgeführt hat.
Sehr geehrte Frau Kühn-Mengel, ich darf Ihnen als Präsidentin stellvertretend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für dieses langjährige Engagement danken. Und Ihnen zu diesem Jubiläum - auch im Namen von Bundesministerin Ulla Schmidt - herzlich gratulieren.
Ich bin sehr gern heute zu Ihrer Veranstaltung gekommen. Und ich danke Ihnen für die Einladung. Ich freue mich über die Gelegenheit, das diesjährige Thema des Weltgesundheitstages - "Mutter und Kind - Gesundheit von Anfang an!" - aus Sicht der Bundesregierung zu beleuchten. Als ich von diesem Motto hörte, musste ich an ein persisches Sprichwort denken. Ich habe es mit einigem Schmunzeln gelesen. Es lautet:
Weil Gott nicht alles allein machen wollte, schuf er die Mütter.
Diese Weisheit stammt aus dem elften Jahrhundert. Ich bin sicher: Der Verfasser hätte seine Freude am diesjährigen Motto der WHO gehabt.
Aber im Ernst: Gesundheit ist ein globales Thema . ein Thema, das weltweit alle angeht. Allerdings: Die Ausgangsbedingungen könnten unterschiedlicher kaum sein. Vor kurzem habe ich eine Ausstellung über das Leben der Kinder in Nepal eröffnet. Armut und Kinderarbeit sind dort auf der Tagesordnung. Militärische Auseinandersetzungen tun ein übriges. Wegen der schlechten medizinischen Bedingungen überleben sieben von 100 Kindern das Säuglingsalter nicht.
Im Vergleich dazu haben wir in Deutschland geradezu paradiesische Verhältnisse. Medizinische Versorgung und sozialpolitischer Schutz sind hochwertig. Die Säuglingssterblichkeit ist bei uns nur eine statistische Größe: Sie liegt bei zirka 0,4 Prozent. Diese Quote kann sich sehen lassen - auch im internationalen Vergleich. Doch auch in Deutschland bleibt viel zu tun, um die Lebenssituation von Müttern und Kindern zu verbessern. Auf drei Bereiche möchte ich näher eingehen:
In Deutschland reden zur Zeit alle über den demographischen Wandel. Kaum eine Diskussion lässt die Tatsache aus, dass der Anteil der älteren Menschen größer wird. Kinder tauchen dabei häufig nur am Rande auf. Dabei weiß jeder Handwerksmeister:
"Wem der Nachwuchs ausgeht, der kann seinen Laden dicht machen".
Wir in Deutschland haben die niedrigste Geburtenrate in der Europäischen Union. Mehr als 30 Prozent der Männer und Frauen haben keine Kinder. Unter Akademikern sind es sogar mehr als 40 Prozent. Das ist weltweit Spitze. Zwar wünschen sich viele junge Menschen Nachwuchs. Aber es fällt ihnen schwer, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Die Bundesregierung hat deshalb die Familienpolitik zu einem zentralen Politikfeld gemacht. Und sie nimmt dafür viel Geld in die Hand:
Jährlich stehen 1,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Betreuung für die unter Drei-Jährigen bereit. Und insgesamt vier Milliarden Euro für einen Ausbau von Ganztagsschulen. Gleichzeitig besteht umfassender Anspruch auf familienpolitische Leistungen im Steuerrecht und in den Sozialversicherungen. Das ist viel. Aber es reicht noch nicht aus. Länder und Kommunen müssen sich stärker engagieren. Und endlich ihre Verantwortung wahrnehmen: In Hessen zum Beispiel wurden bisher lediglich sechs Prozent der möglichen Bundesförderung abgerufen. In Rheinland-Pfalz sind es dagegen 66 Prozent. Dieser Unterschied lässt kaum Zweifel, wer die Ganztagsbetreuung voranbringen will und wer nicht.
Aber auch die Wirtschaft steht in der Pflicht. Politik kann nicht alles leisten. Ohne familienfreundlichere Strukturen in den Betrieben wird sich die Kinderquote nicht entscheidend erhöhen. Wir stehen vor einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung. Dabei kann sich niemand in die Büsche schlagen. Das BMGS geht mit gutem Beispiel voran. Ministerin Ulla Schmidt hat kürzlich ein Eltern-Kind-Zimmer in unserem Haus eingerichtet. Erwerbstätige Eltern können nun während der Arbeit im Ministerium auf ihre Kinder aufpassen. Ein Beispiel, das Schule machen muss. Denn Kinder zu haben, das muss in unserer Gesellschaft wieder zum Normalfall werden.
Übrigens: Kinder zu betreuen und zu erziehen ist eine Aufgabe von Müttern und Vätern. Ich finde, man darf durchaus einmal kritisch nachfragen, warum die WHO in ihrem Motto die Väter völlig außen vor gelassen hat.
Eine zweite große Aufgabe sehe ich darin, gesundheitliche Risiken für Mutter und Kind zu reduzieren! Zweifellos haben wir schon viel erreicht. Wir haben vorbildliche Strukturen zur Betreuung von Müttern und Kindern während und nach der Schwangerschaft geschaffen. Dazu zähle ich übrigens auch die niedrigen Übertragungsraten mit HIV / AIDS. Nur zirka ein Prozent der Neugeborenen, deren Mutter den Virus trägt, werden bei uns bei der Geburt infiziert. Das ist eine hervorragende Leistung!
Doch wir dürfen uns auf den Erfolgen nicht ausruhen. Ein zentrales Handlungsfeld bleibt zum Beispiel der Tabakkonsum. Die Bundesregierung hat durch verschiedene Maßnahmen die Raucherquote erfolgreich gesenkt. Der Nichtraucheranteil hat sich seit 2003 verdoppelt. Bei den 12- bis 17-Jährigen ging die Raucherquote zwischen 2001 und 2004 um fünf auf 23 Prozent zurück. Bei den Mädchen noch deutlicher als bei den Jungen. Das ist deshalb von Bedeutung, weil dies die Mütter von morgen sind.
Besonders wichtig ist uns aber, das Rauchen während und nach der Schwangerschaft noch weiter zu reduzieren. Ein Ziel, dass auch die WHO verfolgt. In Deutschland rauchen etwa 20 Prozent der Mütter. Jedes zweite Kind wächst in einem Haushalt auf, in dem geraucht wird. Während der Schwangerschaft rauchen sogar zwischen 20 und 33 Prozent der Frauen - je nach Schwangerschaftszeitpunkt. Das sind erschreckende Zahlen.
Denn die gesundheitlichen Belastungen für die Kinder sind enorm. Rauchen ist für 15 Prozent aller Frühgeburten und für 20 bis 30 Prozent aller Fälle von geringerem Geburtsgewicht verantwortlich. Auch Säuglinge und Kleinkinder können durch das Rauchen der Eltern krank werden. Wenn Vater und Mutter rauchen, steigt das Risiko eines plötzlichen Säuglingstodes um das 8,5-fache.
Wir dürfen dies nicht länger hinnehmen. Kinder verdienen einen tabakfreien Start ins Leben! Die Bundesregierung will dazu mit dem Aktionsprogramm Tabakprävention beitragen. Es setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Allen gemeinsam ist: Die Betroffenen erhalten mehr Information, mehr Beratung und mehr unterstützende Hilfen.
Die ersten Schritte sind bereits gemacht. Im Auftrag der Bundesregierung hat die BZgA einen entsprechenden Leitfaden speziell für Schwangere entwickelt. Er wurde seit 1999 schon knapp 12.000 Mal angefordert. Die Broschüre liefert den schwangeren Frauen Hintergrundinformationen und macht Zusammenhänge deutlich. Und sie gibt konkrete Hilfen zum Aufhören. Die Broschüre wendet sich gleichermaßen an Betroffene und an die Angehörigen der medizinischen Fachberufe. Gynäkologinnen und Gynäkologen, Kinderärztinnen und Kinderärzte sind genauso wie Hebammen aufgerufen, den Leitfaden für ihre Arbeit zu nutzen und ihn an Betroffene weiter zu leiten. Denn Ihnen kommt bei der Beratung eine Schlüsselstellung zu. Denn jeder weiß aus eigener Erfahrung: Das persönliche Gespräch kann noch überzeugender sein als die Informationen in einer Broschüre.
Ein Blick nach Schweden zeigt: Die Anstrengungen lohnen sich. 1992 wurde dort das nationale Programm "Smoke-free Childhood" gestartet. Vor allem Hebammen und Klinikpersonal wurden für tabakbezogene Beratungsgespräche geschult. Und mit Informationsmaterial ausgestattet. Das Ergebnis beeindruckt: Der Anteil der Raucherinnen unter werdenden Müttern konnte im Zeitraum von 1992 bis 2000 von 23 auf 12 Prozent reduziert werden. Davon können . davon müssen wir in Deutschland lernen: Nichtrauchen soll Normalität werden.
Dazu trägt die Vereinbarung zum Nichtraucherschutz zwischen BMGS und dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA bei. Rauchfrei essen und trinken - dies wollen bis 2008 90 Prozent der Speisebetriebe dies möglich machen. Ohne Qualm in der Nase schmeckt die Suppe dann gleich doppelt gut!
Wenn wir von Suchtprävention sprechen, dann darf das Thema Alkohol nicht fehlen. Neben Tabak ist Alkohol der Suchtstoff Nummer eins in Deutschland. Nur 20 Prozent der Frauen trinken während der Schwangerschaft keinen Alkohol. Die Folgen tragen vor allem die Kinder. Ihre Mütter nehmen Wachstumsstörungen, Fehlbildungen oder geistige und motorische Entwicklungsstörungen bei den Kindern in Kauf. Bei Kindern, die sich nicht wehren können. Solche Schädigungen sind vermeidbar. Dazu aber brauchen die Betroffenen Unterstützung.
Ich rate den Krankenkassen hier zum nötigen Weitblick. Eine Kostenübernahme für Kurse zur Rauch- und Alkoholentwöhnung während und nach der Schwangerschaft sollte der Regelfall sein: Die Kinder profitieren davon, weil Folgeschäden vermieden werden. Und die Kassen selbst können viel Geld sparen. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass neugeborene Kinder mit ihrer Geburt bereits das erste Mal auf Entzug sind.
Schließlich ein dritter Punkt, wo wir in Deutschland besser werden müssen: Wir dürfen den Zusammenhang zwischen sozialem Status und individuellen Gesundheitschancen nicht akzeptieren. In Deutschland erhält jede und jeder Versicherte unabhängig vom Geldbeutel alle medizinisch notwendigen Leistungen. Trotzdem: Menschen mit wenig Einkommen verfügen häufig über einen schlechteren Gesundheitszustand. Dagegen müssen wir angehen. Zum Beispiel, indem wir das Wissen und die Bereitschaft zur Vorsorge erhöhen.
Schwangere Frauen und Frauen insgesamt nutzen die Angebote schon recht intensiv. Doch leider gab es hier im Zuge der Gesundheitsreform einige Irritationen - Stichwort Praxisgebühr. Deshalb noch einmal zur Klarstellung: Ärztliche Untersuchungen im Rahmen der Vorsorge sind von der Praxisgebühr befreit. Wenn Ärzte etwas anderes behaupten, dann handeln sie ungesetzlich. Ich habe die Verantwortung der Gynäkologinnen und Gynäkologen gerade schon beim Thema Rauchen hervorgehoben. Ich appelliere auch bei diesem Thema an ihre Gewissenhaftigkeit.
Vorsorge hilft, Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Noch besser aber ist, vermeidbare Krankheiten durch einen gesunden Lebensstil zu verhindern. Um die Prävention im Gesundheitswesen zu stärken, hat die Bundesregierung das Präventionsgesetz auf den Weg gebracht. Wichtiger Bestandteil ist, dass Angebote der Prävention ausgeweitet werden. Wir wollen, dass möglichst viele Menschen die Möglichkeiten der Prävention erkennen . und an Präventionsmaßnahmen teilnehmen. Wirklich alle sozialen Gruppen sollen davon erreicht werden. Deshalb werden die Angebote in den verschiedenen Lebenswelten der Menschen ansetzen: In Kindergärten und Schulen, in den Betrieben und am Arbeitsplatz, im Lebensumfeld von älteren Menschen und in Senioreneinrichtungen.
Prävention soll überall da sein, wo die Menschen sind. Doch es muss berücksichtigt werden: Unterschiedliche Zielgruppen besitzen auch unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten. Wenn wir diesen Setting-Ansatz erfolgreich anwenden, kann dies helfen, die Abhängigkeit der Gesundheitschancen vom sozialen Status zu verringern und soziale Chancengleichheit herzustellen. Denn Chancengleichheit drückt sich auch in der Chance auf eine gesunde Lebensführung für sich und die Familie aus.
Das diesjährige Motto des Weltgesundheitstages sollte auch uns in Deutschland zu noch mehr Anstrengungen für Mütter und Kinder . für Familien insgesamt . bewegen. Trotz unseres hohen Niveaus der sozialen Sicherung bleibt noch viel zu tun:
Die Bundesregierung hat wichtige Maßnahmen eingeleitet. Alle Akteure gemeinsam müssen sich nun für eine erfolgreiche Umsetzung stark machen.
Es ließe sich noch viel mehr zu diesem Thema sagen. Zum Beispiel zu dem zweiten Schwerpunkt der WHO-Kampagne, der Prävention von Kinderunfällen. Ich möchte die Diskussion darüber aber der Fachveranstaltung am Nachmittag überlassen. Denn ich will meine Redezeit nicht überziehen. Deshalb möchte ich Ihnen zum Abschluss für Ihre Aufmerksamkeit danken. Und Ihnen eine interessante Veranstaltung mit wertvollen Diskussionen wünschen. Vielen Dank.